Referat: “Zum Verständnis der Situation der Kirche: Hindernisse auf dem weg zu einem gemeinsamen Zeugnis”

Zum Verständnis der Situation der Kirche: Hindernisse auf dem weg zu einem gemeinsamen Zeugnis” (Rustenburg, 6.11.90)

Willem D Jonker, Stellenbosch

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, liebe Brüder und Schwestern,

es ist für mich ein wunderbares Privileg, hier heute Dabeisein zu können. Wir erleben wirklich einen wunderbaren Augenblick in der Kirchengeschichte dieses Landes: Daß wir Zusammensein können! Es ist ein freudenvolles Ereignis. Wie lange haben viele von uns sich danach gesehnt und dafür gebetet! Es ist mein aufrichtiger Wunsch, daß der Herr uns in wunderbarer Weise segnen möge und daß dieser historische Augenblick zu einem Wendepunkt in der Geschichte unserer Kirche wird und daß es zu einem Neuanfang in den Beziehungen zwischen den Kirchen kommt!

Lange Zeit standen so viele Dinge zwischen uns. Auch jetzt noch gibt es viele Dinge, die zwischen uns stehen und die es uns schwer machen, einander wirklich in Liebe und Verstehen zu finden. Aber bitte, laßt uns nicht sagen: “Es wird nie etwas daraus werden. Wir kennen einander zu gut, als daß wir jetzt etwas erwarten könnten, das wirklich von Bedeutung wäre.”. Laßt uns dafür sorgen, daß etwas daraus wird, laßt es uns bedeutungsvoll machen, um des Herrn willen!

Ich bin gebeten worden, etwas über die Hindernisse zu sagen, die uns davon abhalten könnten, zu einem gemeinsamen Zeugnis in der sozio-politischen Lage unseres Landes zu kommen. Das mag ziemlich negativ klingen. Aber ich möchte Sie bitten, das Thema der Hindernisse nicht in negativer Weise anzugehen. Lassen Sie uns die Hindernisse in positiver Weise angehen, mit der Absicht, sie aus dem Wege zu räumen, und nicht mit der negativen Haltung, mit dem Gedanken, daß sie ja doch unüberwindlich sind. Ein großes Hindernis könnte entstehen, wenn wir immer nur über unsere vielen Differenzen in der Vergangenheit reden und wenn wir sie weiterhin so sehr betonen, daß sie als Mauer zwischen uns stehen bleiben. Bitte, lassen Sie uns dem Geist der Liebe und der Freundlichkeit (Philipper 4,5) Raum geben, damit er unsere Sinne und Herzen regiere und damit er uns die Freiheit gebe, einander anzunehmen (Kolosser 3, 8-15).

Das größte Hindernis könnte darin bestehen, daß wir uns vom Geist Gottes nicht ändern lassen wollen und daß wir die stereotypen Bilder, die wir voneinander haben, weiterhin bestehen lassen. Es könnte darin bestehen daß wir nicht bereit sind, mit dem negativen Geist gegenseitiger Verdächtigungen zu brechen, mit dem Geist der Konfrontation, dem wir so lange Zeit Raum gegeben haben. Wir müssen bereit werden, einender mit einer positiven Haltung gegenüberzutreten, indem wir nur das Beste voneinander erwarten und einander ermutigen, dem treu zu bleiben und das zu leben, was wir als Christen glauben und praktizieren sollen.

Es wird unserem Land zugutekommen, wenn die Kirche in ihrer Gesamtheit zu sozio-politischen Fragen mit einer Stimme spricht. Das kann jedoch nur geschehen, wenn wir unter der Führung des Heiligen Geistes gleichen Sinnes werden, wenn wir uns gleichermaßen lieben und einmütig und einträchtig sind (Philipper 2, 2). Die Haupthindernisse auf dem Weg zu einem gemeinsamen Zeugnis haben alle mit der sündigen Spaltung der Kirche zu tun. Die gesamte Geschichte der Kirche ist eine Geschichte von Auseinandersetzungen und Spaltungen. Viele denominationelle und konfessionelle Trennungen wurden uns als Teil unseres Erbes weitergegeben. Aber in unserem besonderen Fall haben es die Trennungen innerhalb der Kirche zum großen Teil mit der sozio-politischen Situation in unserem Lande zu tun. Die Rassenfrage, die Trennung zwischen den Rassen und das System der Apartheid haben neue Spaltungen geschaffen und haben die bestehenden Trennungen zwischen den und innerhalb der Kirchen vertieft. Es ist nicht meine Absicht, alle Aspekte dieser Trennungen darzulegen und zu erklären, warum sie einem gemeinsamen Zeugnis der Kirchen entgegenstehen. Ich möchte nur auf einige Aspekte des Problems hinweisen und damit unsere Diskussion eröffnen.

1. Die Isolierung der Christen verschiedener Rassen

Die gesamte soziale Struktur in unserer Lende beruht darauf, daß Menschen verschiedener Rassen voneinander isoliert worden sind. Bis zu einer gewissen Grade begegnen wir einander, um miteinander zu arbeiten, aber dann gehen wir wieder zurück in unsere eigenen Welten, Welten, die nicht nur geographisch, sondern auch in fast allen anderen Aspekten Meilen voneinander entfernt sind. Auf der Ebene sozialer und zwischenmenschlicher Beziehungen gibt es zwischen Schwarzen und Weißen sehr wenig Kontakt. Es ist sehr selten, daß Menschen verschiedener Hautfarben Freunde werden, die einander wirklich kennen und vertrauen und Freud und Leid miteinander teilen.

Es ist eine traurige Tatsache, daß sich diese gesellschaftliche Situation auch in der Kirche widerspiegelt. Zweifellos ist die Situation in den englischsprachigen Kirchen in dieser Hinsicht besser, als in den afrikaanssprachigen Kirchen, in denen kirchenpolitisch entschieden wurde, getrennte Kirchen für Menschen unterschiedlicher Hautfarbe einzurichten. Dennoch, unter den gegebenen Umständen in unserer Gesellschaft ist es unmöglich, daß die Situation in vielen Gemeinden der englischsprachigen Kirchen sehr viel anders ist als in den afrikaanssprachigen. Ihre weißen Mitglieder unterscheiden sich kaum vom durchschnittlichen Afrikaaner in Haltung und Lebensgewohnheiten.

Diese Isolierung der Christen voneinander kann ein großes Hindernis auf dem Weg zu einem gemeinsamen Zeugnis sein. Tatsächlich leben wir in zwei verschiedenen Welten. Wir haben unterschiedliche Erfahrungen und vertreten unterschiedliche Auffassungen. Nur sehr wenige weiße Christen wissen wirklich, wie es in den schwarzen Townships und in den ländlichen Gebieten aussieht. Die Apartheid war darin erfolgreich, daß sie weiße Menschen daran hinderte, sich der wirk1ichen Not, Armut und Frustration der schwarzen Welt bewußt zu werden. In der Vergangenheit waren viele weiße Christen blind, weil sie völlig falsche ideologische Vorstellungen von einer Utopie des Friedens und der Stabilität hatten, die sich angeblich durch die Apartheid erreichen ließe. Andere, die sich ideo1ogioch nicht so stark engagierten, waren schlicht nicht in der Lage zu erkennen, was in der schwarzen Gemeinschaft wirklich geschah. Und sie wollten es auch gar nicht wissen. Ihre Interessen und Privilegien isolierten sie von der Welt der Schwarzen, und sie wollten auch nicht in die verwirrende Realität und das Chaos der schwarzen Gesellschaft hineingezogen werden. Ja, die Stimmen derer, die laut aufschrien, um die Aufmerksamkeit auf diese Realitäten zu lenken, wurden oft auf die eine oder andere Weise zum Schweigen gebracht.

Die Kirchen mit vorwiegend weißer Mitgliedschaft identifizierten sich mit der Sache der Weißen in einem solchen Maße, daß sie den Schmerz und das Leiden, die Erniedrigung und die Ungerechtigkeit einfach übersahen, die die Erfahrung in der schwarzen Gemeinschaft beherrschten. Ihr Zeugnis hatte es mit den Vorstellungen ihrer weißen Welt zu tun und richtete sich auf die Probleme der weißen Gesellschaft, nicht auf die der schwarzen Welt. Die Schmerzensschreie in der schwarzen Kunst und Poesie und das Zeugnis schwarzer Theologen waren zu schockierend, als daß man auf sie achtgab, und es gab genug Gründe, sie zu kritisieren und zurückzuweisen.

Unter diesen Umständen war es unmöglich, zu einem gemeinsamen Zeugnis zu kommen. Die Unterschiede im Verständnis der Situation und daher auch die Unterschiede im Bezug auf das Zeugnis, um das es in dieser Situation gehen mußte, waren zu groß, als daß man sie überwinden konnte.

Es ist sehr ermutigend, daß ein Prozeß der Reorientierung begonnen hat. Das gegenwärtige Klima in unserem Land macht es möglich, diese Dinge in ernsthafter Weise zu diskutieren. Ich weiß, daß es in den Kreisen, in denen ich mich täglich bewege, eine zunehmende Bereitschaft gibt, die Realitäten unserer Situation wirklich wahrzunehmen und sich diesen Realitäten auch bereitwillig zu stellen. Ich hoffe, daß dieses neue Klima auch dazu beiträgt, daß ein Bewußtsein in unseren Kirchen dafür wächst, daß es nötig ist, die Gemeinschaft der Glaubenden in neuer Weise zu fördern. Hoffentlich wird es uns möglich sein, zu einem gemeinsamen Zeugnis zu kommen, in dem die Notwendigkeit, zu neuen Formen des Zusammenlebens zu kommen, unterstrichen wird und daß dies bis zu einer gewissen Grade auch verwirklicht wird! Hoffentlich bewegen wir uns jetzt auf eine neue Situation zu! Hoffentlich lernen wir einander und die gesamte Situation in unserem Lande besser kennen! Und vielleicht werden wir ein gemeinsames Zeugnis formulieren können, das auch wirklich gehört werden wird.

2. Unterschiede in der Ablehnung der Apartheid

Die Kirchen unseres Landes sind wegen ihrer Auseinandersetzungen um die Apartheid tief voneinander getrennt. Die Unterstützung der kulturellen und wirtschaftlichen Emanzipation des Volkes der Afrikaaner und später auch der Politik der Apartheid durch die afrikaanssprachigen Kirchen ist die Hauptursache für die Spannung zwischen ihnen und den englischsprachigen Kirchen.

Die englischsprachigen Kirchen waren gegenüber der Apartheid stets kritisch, vielleicht auch deswegen, weil die Apartheid in der konservativen Politik der Afrikaaner wurzelt. Vor allem aber wurden sie – weil die meisten von ihnen eine Mehrheit schwarzer Mitglieder haben – mit dem Leiden und dem Schmerz, den die Apartheid in der schwarzen Bevölkerung verursachte, viel direkter konfrontiert. Sie erfuhren die totale Ablehnung der Apartheid in der schwarzen Gesellschaft und den wachsenden Widerstand gegen sie viel deutlicher. Das ging so weit, daß sie sich offiziell mit der Sache der schwarzen Bevölkerung identifizierten. Aber sie wußten auch viel von den Befürchtungen eines Teils ihrer weißen Mitgliedschaft, die, obwohl sie nicht für die Nationale Partei stimmten, doch die Vorteile des Systems genossen.

Einige von ihnen waren von dem Kurs ihrer Kirchen überhaupt nicht begeistert. Dennoch gelang es diesen Kirchen, die Situation in einer Weise zu meistern, daß es ihnen gelang, ihre Einheit zu bewahren. Bei der spannungsvollen Auseinandersetzung um die Apartheidpolitik zwischen den englischsprachigen und afrikaanssprachigen Kirchen geht es im Wesentlichen um die Beziehungen zwischen der Niederländisch-Reformierten Kirche (NGK) und den anderen Kirchen. Die Tatsache, daß die NGK 1941 aus dem Christenrat von Südafrika, dem Vorläufer des Südafrikanischen Kirchenrates, ausgetreten ist, führte dazu, daß der Kontakt zwischen den Kirchen höchst unbefriedigend war. Nach der Konferenz von Cottesloe 1960 wurde es noch schlimmer. Trotz des andauernden Dialoges innerhalb der NGK und trotz der Spannungen, die in den Beziehungen zwischen der NGK und anderen Kirchen der niederländisch-reformierten Familie auftraten, widersetzte sich die große Mehrheit innerhalb der NGK jeglichem Wandel in der Haltung der Kirche gegenüber der Apartheid. Das hat die Kirche einen hohen Preis gekostet. In ökumenischen Kreisen wurde sie mehr und mehr isoliert. Ihre Glaubwürdigkeit wurde immer intensiver hinterfragt.

Glücklicherweise veränderte sich die Lage allmählich. Während der letzten zehn Jahre hat die NGK ständig mit dem Problem ihrer Unterstützung der Apartheid gerungen. Auf ihrer jüngsten Generalsynode ist es schließlich zu einer entscheidenden Wende gekommen, die Generalsynode hat die Apartheid als Sünde verurteilt. Der ständige Dialog mit den anderen Kirchen innerhalb ihrer eigenen Familie hat dabei zweifellos eine große Rolle gespielt, sicher auch der Druck, der vonseiten des Reformierten Weltbundes und des Reformierten Ökumenischen Rates ausgeübt worden ist. Man darf auch nicht vergessen, daß es innerhalb der NGK immer eine Minderheit gegeben hat, die sich gegen den allgemeinen Trend gestellt hat. Aus dieser Minderheit ist nun eine Mehrheit geworden, jedenfalls auf der Ebene der Synode. Im Prinzip signalisierte bereits die Generalsynode von 1986 eine Richtungsänderung. Auf der jüngsten Synode wurden die Unklarheiten in den Formulierungen von 1986, die die Konsultation von Vereeniging 1989 (mit den anderen Kirchen der niederländisch-reformierten Familie) faktisch scheitern ließen, ausgeräumt. Wenn man den Widerstand innerhalb ihrer eigenen Mitgliedschaft gegen diesen Kurs bedenkt, war es für die NGK nicht leicht, so zu entscheiden.

All das bedeutet, daß wir jetzt an einem Punkt angekommen sind, wo die Apartheid als solche kein Hindernis mehr auf dem Weg zu einem gemeinsamen Zeugnis der Kirchen sein sollte. Die einzige Frage ist, ob die anderen Kirchen der NGK abnehmen, daß sie es ernst meint und sie in die Gemeinschaft der Kirchen wieder aufnehmen. Es braucht keinen Zweifel daran zu geben, daß die NGK es mit ihrer Ablehnung der Apartheid ernst meint, aber es ist möglich, daß die anderen Kirchen zögern, dies in gutem Glauben anzunehmen. Es gibt immer noch Spannungen in Beziehungen der NGK zu den Kirchen ihrer eigenen Familie, und vielleicht gibt es auch andere Kirchen, die skeptisch sind. Die Ernsthaftigkeit der NGK muß in ihren Taten sichtbar werden. In den letzten Jahren hat die NGK sich ernsthaft darum bemüht, solche Schritte zu tun.

Wie auch immer, es ist zu hoffen, daß mit dieser Konferenz ein großer Schritt zu gegenseitigem Vertrauen und zu gegenseitiger Annahme verbunden ist. Wir wissen, daß nur der Heilige Geist uns die Zuversicht geben kann, die nötig ist, um einander zu vergeben und einander anzunehmen. Auf der Ebene dessen, was Menschen tun können, kann die NGK wenig mehr tunt als ihre Schuld anerkennen und um Vergebung und Annahme bitten. Ohne diesen Schritt kann das gegenseitige Vertrauen nicht wiederhergestellt werden. Wir können nicht einfach weitermachen und so tun, als ob zwischen uns nichts geschehen wäre. Die Wunden, die die Apartheid und der Rassismus geschlagen haben, sind immer noch offen. Die gestörten Beziehungen zwischen den Kirchen können durch Synodenbeschlüsse allein nicht geheilt werden. Wir brauchen die Erfahrung der Versöhnung, damit wir zu einem gemeinsamen Zeugnis kommen können.

Ich bekenne vor euch und vor dem Herrn nicht nur meine eigene Sünde und Schuld, nicht nur meine persönliche Verantwortung für das politische, sozial, wirtschaftliche und strukturelle Unrecht, das vielen von euch angetan worden ist und unter dessen Folgen ihr und unser ganzes Land immer noch leidet. Ich wage, dies stellvertretend auch in Namen der NGK zu tun, deren Mitglied ich bin, und auch im Namen des Volkes der Afrikaaner als ganzem. Ich habe die Freiheit, dies zu tun, weil die NGK auf ihrer letzten Synode erklärt hat, daß die Apartheid Sünde ist und bekannt hat, daß sie es versäumt hat, vor ihr zu warnen und sich von ihr zu distanzieren. Das hätte sie längst tun müssen.

3. Unterschiedliche Auffassungen über die Aufgabe der Kirche in einer polarisierten Gesellschaft

Wir müssen uns jetzt dem dritten großen Hindernis auf dem Weg zu einem gemeinsamen Zeugnis zuwenden. Es besteht in der Spannung zwischen zwei unterschiedlichen Auffassungen von der Rolle der Kirche in der gegenwärtigen Situation. Diese unterschiedlichen Auffassungen kann man vielleicht am besten mit den zwei Begriffen der Versöhnung und des Widerstandes kennzeichnen. Diese beiden Begriffe weisen auf zwei unterschiedliche Auffassungen vom Ziel des Zeugnisses der Kirche hin, die auf etwas vereinfachte Weise folgendermaßen beschrieben werden können:

a)  Es gibt Christen, die von der sündigen und gewalttätigen Situation in unserem Lande zutiefst bewegt und davon überzeugt sind, daß die einzig mögliche christliche Antwort auf die Herausforderung durch diese Situation die Verkündigung der Versöhnung mit Gott und mit unseren Nächsten ist. Sie sind zu der Erkenntnis gekommen, daß die komplexe Situation in unserem Lande von rassistischem und institutionalisiertem Unrecht, von Armut und Haß, von Leiden und Gewalt beherrscht wird. Sie sind in ihrer Analyse der Situation zum Schluß gekommen, daß es im wesentlichen um den Kampf zwischen zwei verschiedenen Nationalismen und Ideologien geht, um den Nationalismus und die Ideologie des Weißen auf der einen Seite und um den Nationalismus und die Ideologie des Schwarzen auf der anderen Seite. Sie glauben, daß sich die Kirche dieses Problems dadurch annehmen sollte, daß sie das Evangelium der Versöhnung beiden Seiten predigt.

Natürlich wollen sie sich auf die Seite der Armen und Unterdrückten in deren notvoller Wirklichkeit stellen aber sie tun dies nicht als Mitglieder einer der miteinander in Konkurrenz stehenden politischen Kräfte. Nach dieser Auffassung hat die Kirche eine Verantwortung im Bereich des Politischen, aber sie sollte selbst keine politische Rolle wahrnehmen. Die Kirche sollte versuchen, ihrer Identität als Volk Gottes, als Salz der Erde und als Licht der Welt treu zu bleiben. Mit diesem Auftrag sollte sie beiden Seiten im Kampf mit dem Wort Gottes dienen, indem sie beide zur Buße vor Gott und zur Versöhnung miteinander ruft. Sie glauben, daß das Evangelium der Liebe und der Gerechtigkeit allen verkündigt werden sollte und sie dazu aufgerufen werden sollten, ihre Haltung zu ändern, bereit zu werden einander anzunehmen und an der Errichtung einer neuen politischen Ordnung, die allen zugutekommen soll, mitzuwirken.

b)  Im Gegensatz dazu stehen andere Christen, die glauben, daß der christliche Glaube eine sehr klare politische Funktion und Botschaft enthält, durch die Menschen zu befreiendem politischem Handeln aufgerufen werden. Dies ist typisch für politische Theologien, unter denen die Theologie der Befreiung die bekannteste ist. Sie enthält eine Reinterpretation des christlichen Glaubens als Ganzem in der Begrifflichkeit des Kampfes um politische Be­freiung. Sie macht dabei Gebrauch von der marxistischen sozialen Analyse und vom Konzept des Klassenkampfes. Sie interpretiert das Evangelium bewußt aus der Perspektive der Armen und Unterdrückten heraus, die als Mitbeteiligte an Gottes erlösendem Handeln verstanden werden. Nach dieser Theologie kann das Evangelium nur dann die gute Nachricht sein, wenn es so verstanden wird, wie es die Armen verstehen. Die südafrikanische Situation sieht sie als von totalitärer Unterdrückung beherrscht an, die götzendienerisch ist und dem Gericht Gottes völlig anheimgegeben wird. Deshalb sollte ihr Widerstand geleistet werden. Die Kirche ist dazu aufgerufen, seich im Nomen Christi mit dem Kampf der Armen um die Macht zu identifizieren, um neue politische Strukturen herbeizuführen.

Es ist offensichtlich, daß diese beiden verschiedenen Theologien nicht leicht miteinander versöhnt werden können. Dadurch ergibt sich ein schwerwiegendes Hindernis auf dem Weg zu einem gemeinsamen Zeugnis. Befreiungstheologen reagieren gewöhnlich sehr negativ auf die traditionellere Theologie des zuerst beschriebenen Typus, die sie als unkritisch und naiv betrachten und die sie als Versuch ansehen, einen Mittelweg zwischen zwei einander gegenüberstehenden Kräften anzubieten. Sie vertreten die Auffassung, daß das Konzept der Versöhnung in unserer Situation nicht angemessen ist, weil es von den Kräften der Unterdrückung mißbraucht werden könnte. Sie haben den Verdacht, daß diejenigen, die Versöhnung predigen, ein besonderes Interesse daran haben, den status quo aufrechtzuerhalten, wodurch sie sich vom revolutionären Wandel, der dem Land wirkliche Befreiung bringen wird, fernhalten.

Umgekehrt, jene, die Versöhnung predigen, lehnen die politische Theologie als ideologisch ab. Sie fürchten, daß sie dazu führen muß, daß Theologie so sehr politisiert wird, daß die Kirche und der christliche Glaube als solcher nur noch dazu benutzt werden, um die revolutionären Kräfte im Klassenkampf zu unterstützen. Sie befürchten, daß dies die Kirche ihre Identität kosten könnte. Auch sie wollen sich am Engagement auf der Seite der Armen und Schwachen beteiligen. Sie verstehen dies aber als ethischen Imperativ und nicht als erkenntnistheoretisches Prinzip, das die Theologie in ihrer Gesamtheit beherrschen sollte.

Die Frage ist: Ist es möglich, die Spannung zwischen diesen beiden Auffassungen zu überwinden und zu einem gemeinsamen, klaren und unmißverständlichen christlichen Zeugnis zu kommen? Lassen sie uns darum beten, daß dies möglich wird. Vielleicht sind wir schon gemeinsam in eine neue Situation gekommen, in der manche der Spannungen der Vergangenheit ihre trennende Kraft verloren haben. Seit dem 2. Februar dieses Jahres haben sich viele Dinge in unserem Lande dramatisch verändert. Obwohl die Lage immer noch sehr instabil und gefährlich ist, können wir doch wenigstens sagen, daß an die Stelle des Kampfes gegen das System politische Aktivität getreten ist. Hoffentlich können theologische Positionen, die in der Situation des Kampfes entstanden sind und mit diesem Kampf zu tun hatten, an Schärfe verlieren und vielleicht sogar verändert werden. Und vielleicht kann auch der Weg für ein christliches Zeugnis frei werden, das wir gemeinsam ablegen können.

4. Unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Kirche im Bereich des Politischen

In dem, was wir bisher diskutiert haben, können wir zwischen zwei unterschiedlichen Auffassungen von der Aufgabe der Kirche in der Politik unterscheiden. Dies hat unausweichlich Konsequenzen für das Zeugnis der Kirche in politischen Angelegenheiten. Daher ist es notwendig, eine gewisse Übereinstimmung in dieser Frage zu erreichen, wenn wir zu einem gemeinsamen Zeugnis kommen wollen.

Es wird unter uns keinen Unterschied in der Auffassung geben, daß die Kirche gegenüber der Politik eine prophetische Aufgabe hat. Wahrscheinlich werden wir auch darin übereinstimmen, daß die Art und Weise, wie die prophetische Aufgabe wahrgenommen wird, davon abhängt, wie die politische Situation beschaffen ist, in die hinein das prophetische Zeugnis abgelegt werden soll.

In außergewöhnlichen Situationen, wenn normales politisches Handeln wegen ungerechter Gesetze, wegen der Bannung politischer Organisationen und wegen des Verbotes der demokratischen Opposition unmöglich ist, wird die Kirche mit ihrer politischen Prophetie in die Bresche springen müssen, um die Sache der hilflosen und dar Opfer der Ungerechtigkeit in die Hand zu nehmen. Das hätten die biblischen Propheten auch so getan.

Aber dies ist normalerweise nicht Aufgabe der Kirche. Wenn sich die Dinge wieder normalisieren und der politische Prozeß wieder in Gang kommt, sollte die Kirche zu ihrer eigentlichen Aufgabe zurückkehren und das politische Handeln den politischen Parteien überlassen. Die eigentliche Aufgabe der Kirche ist die Predigt des Wortes Gottes in seiner Fülle, als Evangelium und Gesetz, und der Ruf an alle Menschen, Buße für ihre Sünden zu tun, zum Herrn umzukehren und seinen Willen zu tun. Im Blick auf den Bereich des Politischen sollte die Kirche die grundsätzlichen und bleibenden Forderungen Gottes nach Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit und Schutz der Schwachen und Armen verkündigen. Die Kirche sollte sich auch nicht scheuen, ungerechte Gesetze und bestimmte politische Modelle zu kritisieren.

Aber es gibt Grenzen der politischen Aufgabe der Kirche. Die Kirche hat keine göttliche Autorität, aus der heraus sie politische Programme vorschreiben könnte. Sie sollte niemals als politische Partei oder Bewegung handeln. Im Gegenteil, sie sollte alle Christen ermutigen, ihre christliche Berufung in diesem Bereich zu erfüllen. Es wird in den politischen Parteien hoffentlich genügend Christen und integre Menschen geben, die sich für die Anwendung gesunder moralischer Prinzipien im politischen Leben einsetzen. Wenn die Kirche sich so verhält, dann erkennt sie die Politik als eigenständigen ethischen Bereich an, in dem bestmögliche Lösungen gesucht und in einem demokratischen Prozeß erprobt werden, der Raum läßt für ständigen Wandel und Verbesserungen, die nötig sein werden, damit allen Bürgern in ihren Bedürfnissen geholfen werden kann.

Genau aus diesem Grund sollte sich die Kirche nicht mit spezifischen Bewegungen, einer politischen Ideologie oder einem bestimmten Parteiprogramm verbünden. Die Kirche darf ihre kritische Rolle in der Gesellschaft niemals verlieren. Genau das aber geschieht, wenn sich die Kirche mit einem bestimmten politischen Programm oder System identifiziert. Kirchen stehen immer in der Gefahr, in ihrer kritischen Wachsamkeit nachzulassen, wenn die politische Macht nach einer Zeit des Kampfes und der Auseinandersetzungen von einer Partei oder einer Bewegung übernommen wird, der sie nahestand. Dann sind sie versucht, ihr den Segen zu geben und sie religiös zu sanktionieren. Wenn das aber geschieht, ist die Möglichkeit eines gemeinsamen christlichen Zeugnisses ernsthaft bedroht.

Die Kirche war in ihrer Geschichte sehr oft Beschützerin der Ideale und werte einer bestimmten Nation, Gemeinschaft oder politischen Ideologie. Die Kirchen im Westen und die NGK haben sich in mancher Hinsicht so verhalten. Das bedeutete aber zugleich, daß ihre Predigt des Evangeliums und des Gesetzes Gottes selektiv wurde und daß der status quo abgesegnet und verteidigt wurde. Die Kirche kann dieser Falle nur entgehen, wenn sie ihrer eigenen spirituellen Identität treu bleibt. Christus verlangt nicht weniger als völligen Gehorsam und völlige Hingabe von uns. Wenn die Kirche Christus gehorsam ist, wird sie wirklich Salz der Erde und Licht der Welt sein. Dann wird sie nicht nur auf ihre eigenen Interessen oder auf die einer bestimmten Gruppe sehen, sondern auch auf die Interessen der Gesamtbevölkerung (Philipper 2, 4). Sie wird Grenzen überwinden und die Lasten aller Menschen tragen. Sie wird versuchen, allumfassend in dem Sinne zu sein, daß sie niemanden besonders begünstigt, sondern das Heil und Wohl aller sucht.

Es ist wichtig. daß wir uns daran erinnern lassen, jetzt, da wir in einer Zeit des Übergangs und schnellen Wandels leben, die voller Möglichkeiten, aber auch voll gefährlicher Versuchungen steckt. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aus dem Leitartikel der letzten Ausgabe der Zeitschrift “Dunamis” zitieren, die der Bekennenden Kirche nahesteht. Der Autor schreibt daß es in unserem Land heute viele Versuche gibt, die Nation dazu zu bringen, einen großen Sprung nach vorn zu machen im Glauben an eine Zukunft des Friedens und des Wohlstands. Aber er macht auch darauf aufmerksam, daß die Entscheidung des ganzen Landes gegen Rassismus, Ungerechtigkeit und Unterdrückung nicht dasselbe ist wie eine Entscheidung der ganzen Nation zu Frieden und Demokratie. Die eine Entscheidung führt nicht natürlicher- und notwendigerweise zu der anderen.

Und dann fährt er fot “Der Geruch der Macht verändert wie der Geruch von Blut und Geld Menschen in befremdlicher Weise. Und die Geschichte ist voller Beispiele dafür, daß diejenigen, die am Ende die Früchte des Kampfes genießen, sehr oft nicht die sind, die sie am meisten verdient und nötig haben. Daher ist es äußerst wichtig, daß wir unseren Sprung des Glaubens mit offenen Augen und bereit zur Verteidigung machen. Laßt uns in Gottes Namen aufhören mit der religiösen Verbrämung politischer Macht und politischer Persönlichkeiten. Laßt uns damit aufhören, nach schnellen messianischen Lösungen zu hungern und zu dürsten. Laßt uns mißtreuisch sein gegenüber jenen, die uns das Reich Gottes versprachen. Laßt uns lieber in die Speichen greifen und den Karren vorwärtsbringen als Politiker emporzuheben. Laßt uns in Gottes Namen damit aufhören politischer Macht religiös zu sanktionieren. Wir sollten uns stattdessen vom Evangelium Christi leiten lassen damit wir die Motive der Politiker und der politischen Organisationen prüfen und unterstützen was wahr und gerecht ist, unabhängig davon, wer eine solche Politik vertritt (Dunamis, 1990-3,1).

Es ist die Aufgabe der Kirche, unser Volk daran zu erinnern daß die mora1ischen Werte auf dem Spie1e stehen, daß für unser Land in dieser entscheidenden Stunde gebetet werden muß und daß wir eine klare Position gegenüber dem Bösen der Vergangenheit und dem möglichen Übel der Zukunft beziehen müssen. Aber um das tun zu können, müssen wir uns persönlich auf das verpflichten, was Christus von uns fordert: Radikale Nachfolge ohne Wenn und Aber. Sonst werden wir nicht die spirituelle Integrität haben, die wir in dieser neuen Situation brauchen. Politischer Wandel allein kann uns von unserer inneren Gefangenschaft nicht befreien. Wenn wir zu einem Segen für unser Land in dieser Stunde werden wollen, brauchen wir den Geist, damit er uns selbst und von dem Mangel an Liebe befreit, der unseren gegenseitigen Beziehungen als Hindernis im Wege steht.

Wenn wir in unserem Gehorsam gegenüber Christus vereint sind, werden wir auch den Weg zu einem gemeinsamen Zeugnis finden, das der Ehre seines Namens und dem Wohlergehen unseres ganzen Landes dient.

Professor Willem D. Jonker ist Pfarrer der Niederländisch-Reformierten Kirche (NGK). Er lehrt Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität von Stellenbosch.

(Übersetzung für epd: Sabine Hinz-Wegner)