VERSÖHNUNG OHNE WIEDERGUTMACHUNG?
Das Schuldbekenntnis, das ich auf der Rustenburger Kirchenkonferenz ablegte, war mir tiefer Ernst. Ich war überzeugt, daß die gebrochenen Verhältnisse zwischen den Kirchen in unserem Lande nur geheilt werden können, wenn wir als Niederländisch-Reformierte Kirche (NGK), als Weiße und insbesondere als Afrikaner (Buren) unsere Schuld an der Situation ehrlich vor Gott und den Brüdern bekennen. Darum habe ich die Gelegenheit dazu gebraucht, um das Bekenntnis abzulegen. Ich kann jetzt rückblickend erkennen, daß es bei mir die Kulmination einer inneren Entwicklung war, bei der ich von Dietrich Bonhoeffers Gedanken des stellvertretenden Schuldbekenntnisses tiefgreifend beeinflußt worden war.
Durch das spontane Auftreten von Erzbischof Tutu und dadurch, daß sich die Vertreter der NGK mit meiner Erklärung identifizierten, erhielt das Geschehen eine unvorhergesehene Bedeutung. Auf die Konferenz übte es einen großen Einfluß aus, und es öffnete Türen, die lange geschlossen gewesen waren. In der Presse erregte es großes Aufsehen. Im ganzen Lande wurde es als etwas Wichtiges angesehen. Einerseits rief es eine überwältigend positive Reaktion bei allen Schichten der Bevölkerung hervor. Andererseits wurde es aber auch mit großer Vehemenz abgelehnt. Politiker von rechts verbargen nicht ihre Erregung darüber, und zahlreiche Mitglieder der Kirche äußerten ihr Mißfallen. Man drohte mit einem massiven Austritt aus der Kirche. Eine Protestversammlung wurde abgehalten. Weil ich mich auf die Beschlüsse der kurz zuvor in Bloemfontein gehaltenen Generalsynode berufen hatte, wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auch auf diese gelenkt. Man forderte nun nichts weniger, als daß diese Beschlüsse wieder rückgängig gemacht werden sollten.
In dieser Situation sah sich die Kirchenleitung genötigt, durch eine Stellungnahme die Unruhe zu beschwören. Der Generalausschuß der Synode tat das, indem er das Bekenntnis zur Kenntnis nahm ohne es gutzuheißen oder abzulehnen; er wies jedoch darauf hin, daß es notwendig sei, daß das Bekenntnis im Lichte der Synodalbeschlüsse von Bloemfontein interpretiert werden müsse. Die Synode dort hatte nämlich die Apartheid als Sünde bezeichnet und die Schuld der Kirche bekannt, weil sie nicht schon längst die Apartheid als System in seiner Bosheit durchschaut und sich davon distanziert hatte. Der Ausschuß nahm davon nichts zurück, betonte jedoch, daß die Synode die Apartheid damit in einem qualifizierten Gesamtkontext beurteilt und die so definierte Apartheid als Sünde zurückgewiesen hätte. Dadurch wollte der Ausschuß einer einseitigen Interpretation der Beschlüsse entgegentreten, die in rechten Kreisen auf propagandistische Weise verbreitet wurde, als hätte die Synode auch das gute Recht der Liebe zum eigenen Volk und der eigenen Kultur als Sünde verurteilt. Man kann sich vorstellen, wieviel Erregung eine derartige Interpretation verursacht hatte. Der Ausschuß wollte darum sagen: Man sollte das gute Recht der Liebe zum Eigenen nicht ohne weiteres als Apartheid abwerten; hingegen müsse Apartheid als Verabsolutierung der Liebe zum Eigenen auf Kosten von anderen definiert werden, als ein ungerechtes und unterdrückerisches System, als ideologischer Rassismus usw. Diese Interpretation hat zweifellos dazu beigetragen, Mißverständnisse und Unruhe in den eigenen Reihen zu beschwören, gleichzeitig aber löste sie auch den Vorwurf aus, daß die Apartheid damit nur in einem qualifizierten Sinne verurteilt worden wäre, nur aus ethischen und nicht aus theologischen Gründen, nur in der Praxis und nicht auch ihrem Wesen nach, usw.
Das war die Ansicht der Kirchen, die sich auf der kürzlich gehaltenen Tagung der südafrikanischen Abteilung des Reformierten Weltbundes weigerten, die Aufhebung der Suspendierung der NGK als Mitglied des Bundes zu empfehlen. Persönlich kann ich das nur bedauern. Ich kann wohl begreifen, wie tief die Bitterkeit gekränkter Liebe und das Misstrauen noch in den Herzen vieler Mitglieder der schwarzen Kirchen stecken. Aber dennoch bin ich der Überzeugung, daß man jetzt nicht den Umbruch, der in die NGK eingetreten ist, verneinen sollte. Es ist ja doch klar, daß die Synode der NGK die Apartheid als System uneingeschränkt abgelehnt hatte. Ich hätte mir gewünscht, daß man sich jetzt nicht zu viel um Formulierungen streitet, sondern daß die NGK in ihrer Ablehnung der Apartheid eher ernst genommen und ihr geholfen wird, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Ihre fortgesetzte Isolierung innerhalb der Ökumene ist nicht zu wünschen.
Meiner Meinung nach waren Bloemfontein und Rustenburg Zeichen der Hoffnung. Für uns, die seit vielen Jahren darum gerungen haben, die Kirche von ihrer distanzlosen Bindung an das eigene Volk zu befreien und sich der politischen Dimension persönlicher und kollektiver Schuld zu öffnen, waren die Beschlüsse von Bloemfontein, wie schwerfällig auch immer, ein Durchbruch von großer Bedeutung. Das Bekenntnis von Rustenburg wurde von den Beteiligten als die Konsequenz dieser Beschlüsse verstanden. Wie einst mit der Stuttgarter Erklärung, offenbarte die Reaktion, wie fremd und ablehnend viele Mitglieder der Kirche einem biblischen Schuldverständnis gegenüberstehen. Darum drückte sich der Synodalausschuß aus taktischen Gründen auch so vorsichtig und zweideutig aus. Ich hätte mir gewünscht daß er sich in klaren Worten mit dem Schuldbekenntnis identifizierte. Dennoch sollte das Gewicht des Geschehenen nicht unterschätzt werden. Das Schuldbekenntnis hat einen Prozess ausgelöst, der sich noch immer weiter durchsetzt. Es hat eine bedeutungsvolle Diskussion hervorgerufen, und man merkt überall eine größere Bereitschaft, die persönliche und kollektive Schuld der Vergangenheit anzuerkennen. Eine Entspannung ist auch in den Beziehungen zwischen den Gemeinden der verschiedenen Kirchen vor Ort eingetreten.
In der Erklärung von Rustenburg heißt es: “Bekenntnis und Vergebung erfordern notwendigerweise Wiedergutmachung.” Ich glaube, daß auch die NGK im Prinzip dazu bereit ist. Die Frage ist jedoch, was das in der südafrikanischen Lage bedeutet. Erstens geht es natürlich um einen neuen Anfang, um das Schenken der verweigerten Liebe und Gemeinschaft, um Versöhnung und sehr konkret: um die sichtbare Einheit der Kirche. Die NGK hat das Ideal einer strukturellen Einheit aller Mitglieder der Familie akzeptiert. Es muß jetzt sichtbar werden, daß sie sich allen Ernstes anstrengt, das zu verwirklichen.
Aber zweitens muß die NGK sich auch viel kritischer als zuvor mit den sozialen und politischen Problemen des Landes beschäftigen. In der Vergangenheit war sie nicht sensibel genug gegenüber der Not der schwarzen Bevölkerung. Sie hat sich zu unkritisch mit dem Burenvolk identifiziert. Sie muß jetzt sichtbar machen, daß sie als Kirche für alle Menschen da sein will und darum auch die Interessen aller Gruppen und Schichten der Bevölkerung fördern möchte. Sie darf nicht nur die Rolle eines konservativen Propheten spielen, und gleichgültig gegenüber dem Problem der Staatsform sein, sondern sie muß sich jetzt prophetisch einsetzen für gleiche Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen, für die Rechte derjenigen, die Objekte der Ausbeutung sind, und für den Aufbau eines besseren und demokratischen Staatswesens, das dem Recht, der Wohlfahrt, dem inneren Frieden und der Versöhnung aller Mitbürger des Landes dient.
Das ist gerade jetzt wichtig, weil wir von neuem von der Gefahr bedroht werden, daß Kirchen sich unkritisch mit den neu aufkommenden politischen Mächten und Parteien identifizieren, und daß so das prophetische Zeugnis für die wahre Demokratie doch wieder gefährdet wird. Daher brauchen wir fortwährend die Fürbitte und die Unterstützung der Ökumene.